„Schule, erster Teil“


I don't take coffee, I take tea, my dear...“
Schon nach den ersten zwei Takten erkennt jeder das Lied und ich muss lächeln. Aus den riesigen Lautsprechern schallt über den Schulhof und die gesamte Nachbarsiedlung in Hörweite der spanischen Grundschule der Klassiker von Sting. Neun Uhr morgens, die Schule beginnt!

Ich entlasse meinen Sohn mit dem obligatorischen Kreuzchen auf der Stirn und Küsschen auf seinen Weg über den ringsum mit einem hohen Maschendraht eingezäunten, hell betonierten und mit zwei Fußballfeldern ausgestatteten Schulhof. Ich sehe ihm mit gemischten Gefühlen nach, zum Glück gab es keine Tränen heute.
Er wird langsam kleiner, zwischendurch stoppt er kurz, um einigen Jungen aus seiner Klasse beim Fangen spielen zuzusehen. Ich recke mich vor dem Zaun, um zu schauen, ob er sich mit ihnen unterhält, da dreht er sich noch einmal kurz um und winkt mir zu - dann ist er um die Ecke des Gebäudes verschwunden.

Oh, I'm an alien, I'm a legal alien
I'm an Englishman in New York...“
Mit dem Ohrwurm für den Rest des Tages verlasse ich beschwingt den Vorplatz Richtung Auto. Heute bin ich mal abenteuerlustig und entscheide mich nicht für den ordentlich geteerten, mit Radweg und Zebrastreifen ausgestatteten offiziellen Fußgängerweg, sondern laufe querfeldein.

Über Stock und über Stein, ausgetrocknete Gräser, Hundehaufen, Mäusemist und andere interessante und eventuell auch unaussprechliche Dinge. Tatsächlich haben hier direkt neben den offiziellen Gehsteigen andere Lebewesen ebenfalls ihre Daseinsberechtigung, auch wenn es in der Nähe der Schule und in Reichweite von Kindern ist.
Die Entscheidung liegt ganz bei mir, welchen Weg ich nehmen möchte....den ausgetretenen Pfaden nach zu urteilen, bin ich nicht die einzige, die ab und zu von der gesicherten Route abweicht.

Bekommen wir auch eine Schultüte?“ tönt es, ausnahmsweise in völliger Einigkeit, vom Rücksitz des Autos, als ich in der Woche vor Schulbeginn unsere Familienschüssel vor dem Einkaufscenter platziere. „Ernsthaft? WIE alt seid ihr?“ frage ich gespielt entgeistert, natürlich hatte ich mir das auch schon überlegt.
Wahrscheinlich ist man dafür nie zu alt, schon gar nicht in der fünften und siebten Klasse. Ja, unser Sohn hat spontan ein Jahr übersprungen und ist von der deutschen dritten Klasse direkt in die spanische fünfte Klasse eingezogen. Jahrgangsbedingt, klare Sache.
Als ich diesen Umstand vor einigen Wochen vorsichtig bei unseren spanischen Freunden anklingen ließ und mit meiner ordentlich veranlagten Sichtweise fragte, wie wir das ändern können, war die klare Antwort:
Es igual. Quieres un cafè?“ So schnell sind Probleme erledigt und unser Sohn besucht jetzt also die fünfte Klasse der Grundschule, die hier bis einschließlich sechste Klasse dauert.

Am ersten Schultag ist unser Wohnzimmertisch dann hübsch geschmückt mit Kerzen, Blümchen, ein paar Schulutensilien, etwas zum Spielen und zwei Tüten Gummibärchen. Ich muss meine Kinder offensichtlich ordentlich verwöhnen, um meine Nerven zu beruhigen. Auf die Schultüten habe ich allerdings verzichtet, ganz so schlimm ist es dann doch nicht.

Viertel vor neun ist Abfahrt. Mit der kompletten Family - Besatzung an Bord nimmt der silberne Flitzer Fahrt auf, steuert unaufhaltsam eine (vorerst) ungewisse Zukunft für unseren Sohn an. Die Stimmung ist noch recht entspannt, doch das wird sich schnell ändern...

Hilfe! Kinder, Eltern, Lehrer, Omas, Babys, Sekretärin. Im Normalfall genau das was ich liebe, alle sind da. Dieses Chaos hatte ich allerdings nicht vorhergesehen und ich fühle mich leicht überfordert. Der Vorhof der Schule sowie der gesamte Pausenhof wimmeln vor lustig sprechenden Leuten, die versuchen, sich zu orientieren. Auch ich habe keine Ahnung, wo wir hin müssen. Mein Mann macht mit Sohn und Tochter noch ein paar Starfotos vor dem Schulgebäude, und unsere Tochter geizt nicht mit schlauen Sprüchen für ihren Bruder.
Tja, und dann ist der Kanal voll. Ich blicke in das Gesicht meines Sohnes und sehe das Unheil schon kommen. Ich ziehe ihn kurzerhand am T-Shirt hinter mir her und schicke die anderen ins Auto, wir brauchen jetzt Ruhe. Inzwischen habe ich verstanden, dass sich die neu formierten Klassen auf dem Schulhof in Gruppen bei ihrem Klassenlehrer sammeln und dann gemeinsam in die Schule gehen. Ohne Eltern. Auweh.

Mein Sohn ist auch ohne diese Info inzwischen völlig aufgelöst und weint herzzerreißend in meinen Bauch. Ich fühle mich wirklich schlecht, aber das war zu erwarten.
Dann geht es zum Glück ziemlich schnell. Ich kann der Lehrerin gerade noch mitteilen, dass unser Sohn eigentlich nichts versteht außer „Hola“ und „que tal?“, da hören wir zum ersten Mal die Schulmusik aus den Lautsprechern. Kein Gong, kein Klingeln, nein, einfach Musik.
Laut, aber entspannt startet man hier in den Schultag.
Die gesamte Schülerschar setzt sich in Bewegung und mein Sohn wird einfach mitgenommen. Ich winke ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen ist und auf dem Weg zum Auto schlucke ich schwer an meinem Kloß im Hals. Rabenmutter.

Fünf Stunden später stehe ich in einer großen Traube aufgeregter Eltern unter den riesigen Pinien vor der Schule. Punkt zwei Uhr beginnt zum Schulabschluss wieder Musik zu spielen, jeden Tag ein anderes Lied, zu Beginn und zum Ende des Unterrichts unterschiedlich. Wie war wohl sein erster Schultag? In neugieriger Erwartung versuche ich, durch die großen Fenster des Treppenhauses meinen Sohn ausfindig zu machen. Und endlich sehe ich ihn. Er hüpft. Gott sei Dank. Er empfängt mich strahlend und sprudelt los: „Es gibt auch einen deutschen Lehrer und in der Pause haben wir alle zusammen Fußball gespielt! Auf dem Pausenhof!“
Echt?“ frage ich begeistert, „das ist ja toll! Wie viele wart ihr denn?“
Fünfundfünfzig.“

...Oh, I'm an alien, I'm a legal alien...
in der Tat, das sind wir.
Wir werden unseren Weg schon gehen, auch unsere Kinder, da bin ich zuversichtlich. Vielleicht nicht immer gerade, vielleicht nicht immer den gesicherten Weg, doch wir gehen gemeinsam.
Poc a poc“. Das ist Katalan und nicht schwierig zu verstehen. 😊

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