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"Zeit meines Lebens"

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Ich stehe im Halbdunkel, still. Höre auf die Geräusche, die von außen hereindringen. Sehe mich um, mein Blick bleibt hängen...an der Decke, die so viele Stunden brauchte, um endlich glatt zu werden. Am Fliesenboden, der immer noch nicht ganz von Zement befreit ist. Durch das geöffnete Fenster dringen die Rufe der Schafe herein, übertönt von herannahenden Motorrollern. Langsam erhebe ich mein Glas, feierlich. Ein kleines Gläschen nur, gefüllt mit dem mallorquinischen Kräuterlikör, der inzwischen zum Inventar gehört. Ich halte Zwiesprache mit unserer riesigen Küchenuhr, vor der ich Angesicht zu Angesicht stehe und leise Abschied nehme. Szenen dieses Jahres spielen sich vor meinem inneren Auge ab. Unsere Kinder an ihrem ersten Schultag und ihre Frustration über die fremde Umgebung nach der ersten Woche. Am vergangenen Freitag, dem letzten Schultag, gab es Tränen des Abschieds. Sie wären gerne länger geblieben. Ich sehe den Urwald, der rund um unser Haus wucherte und den wir

"Die perfekte Welle"

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Ein kurzer, spitzer Schrei durchbricht das tosende Gebrüll des schäumenden Wassers und im selben Moment sehe ich zuerst das Surfbrett, dann meine Tochter an mir vorbeifliegen. Lachend und prustend landet sie in der weichen, schwimmbadblauen Schaumstoffwand am Ende der Wasserbahn, schnappt sich ihr Brett und stellt sich direkt wieder in unsere Reihe der Wartenden, um sich erneut in die Fluten zu stürzen. Wir besuchen das SOL Wave House. Was macht man nicht alles. Unsere Freunde aus Deutschland haben uns tatsächlich quer über die Insel geschleift, um – im Idealfall – erst auf dem Bauch, dann höchst professionell auf den Beinen stehend eine künstliche Welle zu reiten. Da wir uns alle erstmal überhaupt nix darunter vorstellen konnten, und wir gerne offen sind für neue Ideen, stehen wir nun also ca. zwei Meter erhöht oben an der Wasserkante, um uns mit Schwung in den breiten Wasserstrahl zu werfen. Nachdem wir unsere Vorgänger eine Weile beobachtet haben, wie sie von den Wasse

„Der Schnapp des Tages“

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Es dämmert schon, die Schatten werden lang. Die tiefrote Sonne macht sich auf den Weg zur anderen Seite der Erde, langsam verschwindet sie hinter unserem Berg und taucht die ganze Landschaft in ein Meer aus Gold. Lau streicht der Abendwind um Häuser, Sträucher und Palmen...und um die grünen Mülltonnen.    Und um diese streicht wiederum nicht nur der Wind, sondern, wie schon vor langer Zeit einmal erwähnt, immer wieder auch mehr oder weniger zwielichtige Gestalten auf der Suche nach verwertbaren Schätzen. So auch heute. Bonnie und Clyde in Flipflops. Und recht wenig elegant. „Pass auf, da ist noch Geschirr drin! Du musst sie höher halten!“ Im gegengleichen Wiegeschritt, an dem Balu der Tanzbär seine Freude hätte, versuchen mein Mann und ich, möglichst schnell und unauffällig mit unserer Beute unser sicheres Grundstück zu erreichen.  Natürlich klappt das nicht, wir sind laut, langsam und müssen vor Lachen zwischendurch Pause machen. Wir haben diesmal die Seite gewechselt u

"Kerwa"

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Krampfhaft klammert sich mein Sohn am dick mit schwarzem Hartgummi ummantelten Eisengriff fest und schaut recht sparsam aus der Wäsche. Man sieht ihm den inneren Konflikt überdeutlich an: die Faszination der bunten Lichter und der Geschwindigkeit, die aus der Ferne betrachtet recht anziehend wirkt, verträgt sich nicht besonders gut mit seinem von Grund auf eher vorsichtigen Wesen.    Seine Schwester neben ihm hat sichtlich mehr Freude: Arme und Beine fliegen bei jeder Umdrehung durch die Luft. Mit ansteckendem Lachen versucht sie, ihre spanischen Freundinnen dazu zu animieren, es ihr gleich zu tun. Auch ihr Bruder bemüht sich redlich um etwas mehr Fahrspaß, seine Erleichterung kann er allerdings nicht verbergen, als das Gefährt endlich steht und sie wieder festen Boden unter den Füßen haben. Kerwa, TATSÄCHLICH! Nachdem ich bisher nur die konsumarmen Feste der Insel miterlebt habe, kommt an diesem Wochenende der Kommerz bei uns an. Der riesige Parkplatz mitten im Ort i

„El camino...“

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„ So, und zur Belohnung gibt’s das Essen erst morgen!“ schnauze ich die unschuldige Theke in unserer neuen Küche an, die mir unglücklicherweise im Weg rumsteht. Ohne Rücksicht auf Verluste werfe ich alle unsere Einkäufe mit Schwung in die Mitte des Raumes und brauche erstmal Ruhe. Ja, zugegeben, die Stimmung war schon besser. Besonders meine. Nach zehn Minuten „Durchatmen“ trotte ich brav zurück und sortiere unsere Errungenschaften sorgfältig in die Schränke, das ist ja inzwischen glücklicherweise möglich. Geschlagene eineinhalb Stunden waren meine Tochter und ich auf unseren Fahrrädern unterwegs, um in sechs (!) verschiedenen Geschäften die notwendigen Utensilien für selbstgemachte Sushi aufzutreiben. Bekommen haben wir am Ende alles Notwendige, doch um halb sieben hatte keiner von uns mehr Nerven für die Zubereitung. Also gab es Spaghetti „Aglio e Olio“ und das japanische Traditionsgericht wurde auf Sonntag verschoben. Ich esse Sushi besonders gerne wegen der Glüc

"Zerrissen"

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  https://www.youtube.com/watch?v=fOk8Tm815lE Es ist dunkel, der Sturm peitscht durch das alte Gemäuer. Die Fackeln flackern wild in zornigen Windböen, tief werden die dunklen schweren Wolken über das nicht vorhandene Dach der Kirche vorangetrieben.  Es regnet nicht – noch nicht, doch der fahle Vollmond zieht bereits Wasser, nur durch hellgrauen Dunst ist er schemenhaft am Himmel zu erkennen. Die Soldaten formieren sich rasch, es gibt kein Entrinnen mehr. Mit ihren goldenen Rüstungen und den scharfen Lanzen erbauen sie ein trutziges Bollwerk, dem sich niemand entgegen stellen mag. Die brachiale Musik von Beethovens Sinfonie dröhnt über mich hinweg und verleiht der Szenerie Endzeitstimmung. Ich stehe inmitten der Menschenmenge, unfähig, mich zu bewegen, Zuschauerin. So wie die Menschen damals haben auch wir uns heute versammelt. Und sehen nur zu, tatenlos. Die Gänsehaut reicht von meinen Fußzehen bis hinauf zu meinen Haarspitzen, ich bin hypnotisiert. So stehe ich bere

sad

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https://www.youtube.com/watch?v=M1nt3t8AR0U