"Kerwa"
Krampfhaft
klammert sich mein Sohn am dick mit schwarzem Hartgummi ummantelten
Eisengriff fest und schaut recht sparsam aus der Wäsche. Man sieht
ihm den inneren Konflikt überdeutlich an: die Faszination der bunten
Lichter und der Geschwindigkeit, die aus der Ferne betrachtet recht
anziehend wirkt, verträgt sich nicht besonders gut mit seinem von
Grund auf eher vorsichtigen Wesen.
Seine
Schwester neben ihm hat sichtlich mehr Freude: Arme und Beine fliegen
bei jeder Umdrehung durch die Luft. Mit ansteckendem Lachen versucht
sie, ihre spanischen Freundinnen dazu zu animieren, es ihr gleich zu
tun. Auch ihr Bruder bemüht sich redlich um etwas mehr Fahrspaß,
seine Erleichterung kann er allerdings nicht verbergen, als das
Gefährt endlich steht und sie wieder festen Boden unter den Füßen
haben.
Kerwa,
TATSÄCHLICH!
Nachdem
ich bisher nur die konsumarmen Feste der Insel miterlebt habe, kommt
an diesem Wochenende der Kommerz bei uns an. Der riesige Parkplatz
mitten im Ort ist voll. Scooterbahn, Fliegender Teppich, Ufo,
Kinderkarussell, Zuckerwatte, Popcorn.
Alles,
was das Kerwa-Herz begehrt.
Wir
nähern uns der Szenerie durch den Hintereingang und sehen auf der
Bühne bereits die örtliche Flamencogruppe inmitten ihres mehrstündigen Auftrittes. Die laut wummernde
Technomusik der vielen Fahrgeschäfte übertönt allerdings die
dazugehörige Originalmusik, so dass diese Mischung für den
Zuschauer etwas bizarr aussieht.
Ich
bin verwirrt.
Doch als wir um die Ecke biegen, ist meine Welt schnell wieder in Ordnung. Linker Hand ist mein geliebter original und traditionell mallorquinischer Festbereich aufgebaut: die besagte Bühne mit folkloristischen Tänzen und Musik, die liebevoll ausstaffierten Stände mit selbstgemachten Köstlichkeiten, die riesigen Holzkohlegrills, die wir schon von Sant Antoni kennen und die meterlangen Stehtische mit Tischdeckchen und Windlichtern, an welchen man sich ungezwungen zum Essen und Trinken trifft.
Rechts von uns tobt das Chaos. Umrahmt wird das Ganze von einer wunderschönen
Kulisse aus Abendrot und der Silhouette unseres Hausberges, vollendet
von einem Schwarm kreisender Möwen.
Das ist mal wieder ein Info-Overflow für mein Gehirn,
Das ist mal wieder ein Info-Overflow für mein Gehirn,
aber
trotzdem: Ich liebe dieses Miteinander der Gegensätze!
Unsere
Kinder sind mittendrin und ich freue mich für sie. Vor einem Jahr
wäre das noch undenkbar gewesen, wie sind sie gewachsen! An ihrer
neuen Umgebung und an sich selbst. Sie haben gekämpft, sich
behauptet, haben gelitten, über viele Dinge gestaunt. Sie lernten
Fremdes lieben und stellten Altes in Frage. Sie haben sich
eingelassen auf all das Neue, was ihnen über den Weg lief und sie
machten sich ihr eigenes Bild.
Sie
gehen mit neuem Blick in die Zukunft, ich hoffe, unser
mallorquinisches Jahr konnte ihr Vertrauen in sich selbst stärken.
Und ihnen die Zuversicht mit auf den Weg geben, dass die alles in
ihrem Leben meistern werden.
Ich
stehe wieder einmal umringt von vielen Menschen mitten in der Welt
und beobachte meine Kinder mit einem Lächeln.
Ein kleiner Dialog mit einem unserer Freunde aus Deutschland kommt mir in den Sinn:
Ein kleiner Dialog mit einem unserer Freunde aus Deutschland kommt mir in den Sinn:
„Tina,
Du weißt ja, mein Leben ist nicht schwarz oder weiß,
bei
mir gibt es auch grau.“
„Ja.
In Bunt wäre es vielleicht noch schöner.“ erwiderte ich.
Fahr
mit.
Steh Dir nicht selbst im Weg herum.
Lass Dich auf dein Leben ein.
Kreise nicht um andere.
Kreise nicht um andere.
Vielleicht
schaust Du zwischendurch sparsam aus der Wäsche,
vielleicht
ist es Dir manchmal zu rasant.
Vielleicht
bist Du lieber nur Zuschauer...doch wer kann das schon sagen, ohne es
vorher probiert zu haben?
Bist Du schon erschöpft von den Pirouetten, die Du um Dich selbst drehst?
Kommst Du voran oder bleibst Du auf der Stelle stehen?
Lässt Du Dich vom Strudel verschlucken?
Lässt Du Dich vom Strudel verschlucken?
Wonach
strebst Du?
Was
willst Du wirklich?
Bist Du zufrieden?
Kennst Du die Antwort?
Willst Du sie wissen?
Willst Du sie wissen?
Ehrlich?
Mit
leuchtenden Augen kommen meine Kinder mir entgegen und ein
aufgeregter Wortschwall nimmt mich in Empfang. Fröhlich schwatzend
machen wir uns gemeinsam auf den Heimweg.
Wie
auch diese geht jede unserer Fahrten irgendwann zu Ende – und dann
wünsche ich Dir von Herzen, dass die Zeit, die Du hattest, eine gute
war.
Überraschend
anregend, so ein Besuch auf der Kerwa...
https://www.youtube.com/watch?v=0vqgdSsfqPs