"Entspannung"
„Hallo,
ich bin Nicolas.“ Erleichtert schüttele ich die Hand, die mir mein
Retter in der Not entgegenstreckt und lächle etwas verkrampft.
Immerhin bin ich inzwischen von der Straße herunter geschoben worden
und blockiere jetzt nur noch die Zufahrt zum Eroski-Parkplatz...
Einkaufszentren
haben offensichtlich einen schlechten Einfluss auf unseren
Silberflitzer. Leider flitzt unser Cabrio schon lange nicht mehr so
richtig rund und heute hat es uns zum dritten Mal erwischt – mit
mir am Steuer und mitten in der Altstadt. Bei Feierabendverkehr. Und
im hier üblichen Einbahnstraßen-Netz. Genau mein Ding.
Doch
trotz meiner - von außen betrachtet - misslichen Lage, bin ich
selbst am meisten überrascht, dass ich tatsächlich ziemlich
gelassen bleibe. Beim 90 Grad-Rechtsabbiegen kracht es vertraut und
das Auto lässt sich nicht mehr manövrieren, das kenne ich ja schon.
Na gut, ich fluche kurz und kräftig, auf deutsch und auch auf
spanisch, nützt aber nix. Mit einem kurzem Blick in den Rückspiegel, in
welchem sich die Autoschlange hinter mir schon bis zum Horizont
erstreckt, prüfe ich kurz die Aussichten und steige dann möglichst
elegant aus.
Ich
mache für alle mir nachfolgenden Fahrzeuge eine international
unmissverständliche Handbewegung quer über meinen Hals und rufe dem
Herrn hinter mir zu: „Lo siento! El coche está roto!“ Nichts
geht mehr. Es dauert eine Weile, bis die Botschaft ankommt, doch dann
setzen sich Autos, Busse und Lieferwagen in Bewegung, rückwärts.
Ich stehe etwas verloren, aber innerlich immer noch unaufgeregt, neben
meinem Schrottauto und warte auf den legendären Ritter, der im
Normalfall an dieser Stelle vorbei geritten kommt, um die Prinzessin
heldenhaft zu erlösen.
Tja,
was soll ich sagen. Keine Minute später kommen gleich drei nette
Menschen herbeigeeilt und bugsieren das silberne Gefährt in die
bereits erwähnte Supermarkt-Einfahrt.
„Mama!
Das ist mir jetzt echt OBERpeinlich!“
„Tja,
das tut mir extrem leid, darauf kann ich jetzt aber LEIDER keine
Rücksicht nehmen. Morgen wieder!“ weise ich meine Teenager-Tochter
zurecht und nehme ihr ungeduldig ihr Handy aus der Hand. Meines hat
natürlich genau jetzt nicht mehr genügend Guthaben, so dass ich in
der Hiphop-Tanzstunde aufkreuzen musste, um telefonisch mit meinem
Mann in Kontakt zu treten und ihm die Lage zu erörtern. Seine
Begeisterung hält sich überraschenderweise in Grenzen.
Am
Ende fügt sich zum Glück dann doch alles zusammen und der Tag geht
versöhnlich zu Ende: Unsere spanischen Baustellen - Chicos kommen
mit ihrem Familienauto angebraust, um uns aus der Stadt abzuholen.
Mit geballter Manneskraft schieben sie unser Cabrio vorbildlich in
eine Parkbucht, so dass es dort einige Tage ausharren kann.
Anschließend fahren sie mein Tanzmäuschen und mich wohlbehalten
zurück in unser Zuhause. Besonders verblüfft waren sie nicht über
die Aktion – so was passiert halt. Die Frage ist, wie man es
verarbeitet...
„Tu
tranquilo“ - „Entspann Dich“ ist hier die Standardbegrüßung
unserer spanischen Freunde und Chicos für uns „nervöse Deutsche“.
Es ist wirklich süß zu sehen, wie erstaunt sie sind, wenn
wir uns über Dinge aufregen, die nun mal nicht zu ändern sind. Sie
verstehen es tatsächlich nicht, wie man sich mit so etwas belasten
kann:
-
Die Fliesen sind locker!
Ja.
Gut erkannt, machen wir sie fest.
-
Dein Auto hält alle anderen auf!
Ja.
Dann warten sie eben ein bisschen.
-
Wir sind schon 10 Minuten zu spät!
Ja.
Bitte nicht pünktlich kommen, das ist nur ein Richtwert.
-
„Wasser läuft aus !!!“
Ja.
Wischen wir auf.
-
Der Wäscheständer versinkt samt Wäsche im Pool!
Ja.
So ein Mist.
Ich
erwische mich immer wieder dabei, dass ich mich nach wie vor über
Nebensächlichkeiten aufrege. Über Dinge, die nicht funktionieren,
über Bemerkungen, die mich ärgern – schwupp! bin ich von „Null
auf Hundert“, ohne dass ich darauf einen Einfluss hätte. Doch
inzwischen halte ich ziemlich oft inne und bremse mich selbst.
Hinterfrage meine Aufregung. Und schaue ihr echt häufig dabei zu,
wie sie sich in Luft auflöst.
Ein
gutes Gefühl.
Nein,
wir können alle nicht aus unserer Haut und wir sind natürlich von
der Gesellschaft geprägt, in der wir leben. Aber ab und zu tut uns
der berühmte „Blick über den Tellerrand“ gewiss ganz gut, um
unseren Standpunkt mal wieder zu justieren – in welche Richtung
auch immer. 🔀🔄🔝