"Kopfsache"

Zwei Minuten sitzen, denken!“
Um seiner herzlichen Aufforderung Nachdruck zu verleihen, macht der nette Herr in Weiß neben seiner Stirn eine kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger. Ich wechsle grinsend einen Blick mit meinem Sohn an meiner Seite und so setzen wir uns und denken.

Es ist der 2. Advent. „Es ist schön hier“ bemerkt mein Sohn und sieht sich die kleine Kirche ganz genau an. Wir waren bereits am vergangenen Sonntag hier, um dem allwöchentlichen „deutschsprachigen“ Gottesdienst beizuwohnen und weil es unseren Kindern gut gefallen hat, kommen wir gerne wieder. Die Uhrzeit ist christlich, er beginnt um 10 Uhr und dauert etwa eine halbe Stunde. Für die Spanier allerdings wohl noch zu früh, sie gehen erst um halb zwölf zur Messe.
Das Gotteshaus ist eher ein Gemeindesaal, lichtdurchflutet, mit Holzbänken und einem etwas erhöhten Altar in der Mitte des Raumes. Darüber schwebt ein großes Metallkreuz und in den Ecken rechts und links wurden diverse Heiligenfiguren drapiert. Eine Madonna mit Kind, eine andere mit dunkler Hautfarbe, dazwischen wachsen große Grünlilien in ihren Töpfen fast bis zum Boden.

Dann fällt mein Blick auf Dinge, die mir gut gefallen, da sie in ihrer Symbolkraft unschlagbar aussagekräftig sind:

Es gibt kein goldenes Geschirr. Die Schalen und Becher für die Eucharistiefeier sind aus einfacher Keramik hergestellt, rot und mit dunkelblauem Rand. Vor dem Altar steht ein siebenarmiger Leuchter, darauf brennen sechs verschiedenfarbige Kerzen, eine davon mit einer großen Sonnenblume verziert. Der Adventskranz zur Linken ist aus Kunststoff und wurde mit roten Schleifen und Ölkerzen reich bestückt.
Es ist kunterbunt – und?
Es macht nichts. Überraschende Erkenntnis.
Niemand stört sich daran, im Gegenteil. Wir sind nur rund zwanzig Besucher der Messe, jedoch sind alle mit dem Herzen dabei. Wir kommen nicht wegen der Dekoration oder aufgrund der beeindruckenden Architektur. Wir singen inbrünstig die deutschen Weihnachtslieder, so laut, wie ich es in Deutschland nur selten höre und wir fühlen uns hier sofort zu Hause.

Der spanische Pfarrer spricht die Messe in Castellano und wir verstehen trotzdem was er sagt, denn der Ablauf und die Worte sind im Spanischen identisch wie im Deutschen. Mein Sohn ist beeindruckt und hört mir aufmerksam zu, als ich ihm noch etwas mit auf den Weg gebe:
Egal wo auf dieser Welt Du dich befindest, in jeder Kirche kannst du dich zu Hause fühlen, denn Gott ist bei dir. Ihn kannst du mitnehmen, wohin du auch immer gehen wirst. Das wird dir Kraft und Zuversicht geben, wenn du möchtest. Und du brauchst keine Angst zu haben vor den Dingen, die dich im Leben noch erwarten werden.“
Ich persönlich finde das auch sehr beruhigend.
Auf eine Predigt wird in der Messe übrigens verzichtet, was mich schon wieder zum Nachdenken bringt: Haben wir in unseren Gottesdiensten in Deutschland manchmal zu wenig Raum zur eigenen Entfaltung? Sollten wir wirklich immerzu allen alles vorbeten und vorsagen? Ist auch an dieser Stelle manchmal weniger mehr?

Lass Dir selbst ein bisschen mehr Freiheit und lass Dich treiben, auf Weihnachten zu.
Nach den beiden Lesungen und dem Evangelium darf hier also jeder selbst über das Gehörte nachdenken und sich davon mitnehmen, was er möchte. Das tue ich dann auch und so begleitet mich diese Woche der Psalm:

„Großes hat der Herr an uns getan, da waren wir fröhlich.“

So einfach ist das.

https://www.youtube.com/watch?v=KIJGlTu5sEI&list=RDzXyRCdNZoOA&index=2

Beliebte Posts aus diesem Blog

„Verstehst du mich???“

"Zerrissen"

Ich hab Hunger!